Bruce Lee: A Life
Über Matthew Polly hörte ich zuerst im Internal Fighting Arts Podcast von Ken Gullette. Die Art und Weise wie er dort über Bruce Lee redete, sprach mich sehr an. Es klang zuerst so, als wäre Bruce gar kein so guter Kämpfer und in erster Linie ein Schauspieler gewesen, eher jemand wie Jean Claude Van Damme… Das passte in mein Weltbild, in dem ich jegliche Meister als normale Menschen ansehe und versuche sie nicht auf ein Podest zu stellen. Du hast diese Einstellung vielleicht schon in einigen meiner Artikel bemerkt. Ich meine es aber nicht böse. Viel mehr steckt ein Wunsch dahinter umgekehrt in jedem „Normalo“ einen potentiellen Bruce Lee zu sehen!
Aber… so einfach ist das nicht. Ich kaufte mir Pollys Buch „Bruce Lee: A Life“, die neuste und wohl aktuellste Biografie über die Lieblings-Kampfkünster-Schauspieler-Ikone, um eine bestimmte Voreingenommenheit zu bestätigen:
„Bruce Lee war gar nicht so gut wie alle sagen und war mehr ein Schauspieler.“
Doch ich wurde sehr überrascht. Bruce war in seiner Jugend in erster Linie ein Draufgänger, ein Rowdy, ein Rebelle, der nicht davor zurück schreckte ein Messer gegen einen seiner Lehrer zu ziehen und diesen damit über den Sportplatz zu jagen. Er wuchs in eher wohlhabenden Verhältnissen auf, mit persönlichen Dienern und einem berühmten Vater. Er besuchte das eher elitäre katholische La Salle College, wo Englisch die Hauptsprache ist. Das ähnelt schon mal gar nicht der Person, die wir aus dem Hollywood Biopic Dragon – Die Bruce Lee Story kennen.
Schon als Baby durfte Bruce in einem Film mitspielen und landete später als Kind und dann auch als Teenager einige (für seine Zeit) bedeutende Rollen… doch ganz so klappte das mit der Filmkarriere in Hong Kong nicht. Übrigens, das mit dem Unterschied zwischen Hong Kong und China, der dortigen Filmindustrie und Politik wird ebenfalls interessant und spannend in dem Buch erklärt.
Wusstest du, dass Bruce zu 1/8 jüdisch-europäisch war? Sein Urgroßvater war Mozes Hartog Bosman, ein niederländisch-jüdischer Kaufmann! Das ist vielleicht nur für mich persönlich interessant, weil ich selbst zu 1/3 aschkenasischer Jude bin und mich für Stammbäume interessiere, aber ich mag solche unerwarteten Details. Genauso spannend finde ich die Tatsache, dass der Urgroßvater von Alexander Pushkin, dem berühmtesten Dichter Russlands, Abram Petrovich Gannibal hieß und in der Nähe von Kamerun geboren wurde. Wer hätte das gedacht? Aber ich weiche ab…
Außerdem hatte dieser Urgroßvater kaum Einfluss auf Bruce Lees Leben. Jedenfalls keinen positiven.
Wie schon gesagt, war Bruce ein Draufgänger. Er gründete Cliquen und kämpfte gegen andere Gruppen von Jugendlichen. Das ging eine Zeit lang ganz gut für ihn, bis er etwas älter wurde und seine Gegner etwas erfahrener und besser. Als er dann auf Widersacher traf, die ihm kämpferisch überlegener waren (und bis zu diesem Zeitpunkt hatte Bruce Lee rein instinktiv gekämpft), musste er sich einen Kampfkunstlehrer suchen. Darum unterwarf er sich erstmal seinem Widersacher, wurde zu seinem „Untertan“ und lernte währenddessen bei Ip Man. Er war talentiert, so talentiert, dass er sehr schnell lernte, aber nie genug, um die besten der Schule zu besiegen. Zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Das hielt ihn nicht davon ab an einem Wettkampf teilzunehmen, den er gewann. Dann musste seine Begeisterung für den Kampf eine Zeit lang mit dem Cha-Cha-Cha-Tanz konkurrieren (im Ernst!).
Er wurde auch darin sehr gut und gewann 1958 die Cha-Cha-Cha-Meisterschaft in Hong Kong, bei der er mit seinem jüngeren Bruder (für den Niedlichkeitseffekt) auftrat.
Wie Bruce letztendlich in den USA landete?
Sein Vater hatte die Schnauze voll von ihm.
Bruce war unmöglich rebellisch und ständig in irgendwelche Probleme mit der Polizei verwickelt. Sein Vater hoffte, dass Bruce, indem er alleine in ein unbekanntes Land** und ohne finanzielle Unterstützung geschickt wird, lernt hart und diszipliniert zu arbeiten.
Es hat einige Jahre gedauert, aber Bruce konnte seinen Vater stolz machen und das noch bevor er ein richtiger Star wurde. Man kennt Bruce Lee aus den üblichen Filmen wie „The Big Boss“, „Fist of Fury“ und natürlich „Enter the Dragon“, aber es gab viel mehr Filme und Serien, in den er spielte, darunter natürlich auch „The Green Hornet“. Das gesamte wie und wann und mit wem wird in dem Buch detailliert beschrieben, ohne dabei trocken und langweilig zu werden. Es ist ein bisschen so, als würde man mit den Protagonisten alles miterleben. Ich kann mich nicht daran erinnern bei dem Buch jemals „wann kommen die spannenden Momente?“ gedacht zu haben. Selbst die normalsten Momente seines Lebens wurden als Aufbau für etwas spannendes und wichtiges beschrieben und blieben dabei vollkommen wahrheitsgetreu.
In diesem Buch gibt es keine Hollywood-Überdramatisierung und gerade deshalb ist es so beeindruckend. Außerdem gab es in Hollywood dieser Zeit auch so schon genug Drama…
Bevor ich das Buch gelesen hatte, wusste ich nicht viel über die Tate-Morde, aber danach machte Tarantinos genialer Film Once Upon a Time in Hollywood plötzlich sehr viel mehr Sinn, auch wenn er vollkommen überzogen war – typisch Tarantino, aber dafür liebe ich ihn! ^^
Übrigens: Bruce Lees Rolle in diesem Film (natürlich von einem anderen Schauspieler verkörpert), die mir anfangs so sehr gefiel, fand ich, nach dem Lesen dieser Biografie, nicht mehr ganz so zutreffend. In dem Film war Bruce ein eingebildeter Möchtegern-Stuntman, der von Brad Pitts Charakter vollkommen fertig gemacht und gedemütigt wurde. In der Realität wäre das Ganze nicht ganz so einfach abgelaufen. Natürlich musste Bruce eingebildet wirken, um sich im rassistischen Hollywood durchkämpfen zu können und es gibt über ihn einige Anekdoten, in den er von anderen besiegt wurde… aber ganz so einfach wie in dem Film dargestellt wäre es dennoch nicht gewesen.
Bevor er seine Schauspielkarriere in Hollywood begann, wollte Bruce Lee eigentlich eine Kette an Kampfkunstschulen gründen und er hätte alle nötigen Qualifikationen dafür, nur nicht das Geld. Also wurde er zunächst persönlicher Trainer für viele Hollywood-Schauspieler, darunter Steve McQueen, Roman Polanski und Sharon Tate… letztere, Polanskis hochschwangere Ehefrau, wurde von Manson-Anhängern brutal ermordet, was eine Schockwelle durch Hollywood aussendete. Bevor es klar wurde, wer der Verantwortliche ist (Charles Manson und proximal… die CIA!), hatte der, verständlicherweise, traumatisiert-paranoide Polanski sogar seinen Freund Bruce verdächtigt. Das ist nur ein Detail aus dem spannenden und abwechslungsreichen Leben Lees und davon gibt es in dem Buch noch viel mehr.
Bruce trank zwar keinen Alkohol, aber er hatte eine Vorliebe für Haschisch-Kekse…
…was bei der juristischen Beurteilung seiner Todesursache zu gewissen Komplikationen geführt hatte. Damals glaubte man noch, dass Cannabis eine tödliche Droge wäre, was aber wissenschaftlich nachgewiesen nicht sein kann. Es wird auch genau erklärt, warum es eine so große Geheimtuerei über seinen Tod gab… Wer will schon wissen, dass der Volksheld im Bett einer Liebhaberin gestorben ist und nicht in dem seiner Frau?
Wie ich nun plötzlich bei Bruce Lees Tod angekommen bin? Ich möchte nicht all die außergewöhnlichen Teile des Buches preisgeben. Das wäre dem Autor gegenüber nicht fair und ich möchte ihn für seine großartige Arbeit unterstützen. Wie ich bereits bei einer anderen Buchrezension schrieb: Ich möchte hier nur die gute Literatur vorstellen. Daher kann ich dir nur empfehlen dieses Buch auch zu lesen.
Eins kann ich zu Lees Tod noch sagen: Matthew Polly hat die wohl plausibelste und sinnvollste Theorie über seinen Tod aufgestellt, gestützt mit passenden Beispielen, Beweisen und logischen Schlussfolgerungen. Bruces Tod wurde hier nicht als etwas mysteriöses dargestellt. Der Autor begleitet den Star über Wochen und Monate vor seinem Tod. Zum Beispiel wird hier die Hirnblutung einige Wochen vor dem Tod angesprochen, von der ich keine Ahnung hatte. Letztendlich gibt es die Auflösung des Geheimnisses, die alle Verschwörungstheorien (Gift, Dämonen, die Triaden und ihre Dim-Mak-Technik etc.) kalt lässt…
„Bruce Lee: A Life“ hat nicht nur meine Meinung über die Lieblings-Kampfkünster-Schauspieler-Ikone komplett geändert, es hat mir eine Einsicht in sein Privatleben gegeben, seine Probleme und Sorgen, sein Ego, sein Talent, seine Verzweiflung und harte Arbeit wurden offenbart…
Ich schätze mal, dass Biografien besonders gut dafür geeignet sind, einen Teil von sich selbst in der anderen Person gespiegelt zu sehen. Das hatte ich, wenn auch auf einer etwas anderen Ebene. Das Buch hat mich wirklich inspiriert. Ich hätte nicht gedacht, dass Bruce Lee mich, nach all den Jahren und dem wiederholten Schauen seiner Filme, noch mehr inspirieren könnte… Aber die Realität ist manchmal doch interessanter als das Symbol. Ich schätze mal, dass es von Person zu Person abhängt, aber ich finde so etwas sehr spannend. Ein sehr gutes Buch!
* Die Verwendung des Buchcovers wurde mir freundlicherweise vom Autor genehmigt.
** Bruce wurde in San Francisco geboren, als seine Eltern vorübergehend dort lebten, daher hatte er die US-Staatsbürgerschaft.