In diesem Artikel möchte ich über die Kunst der Diskussion schreiben. Es ist eine Kunst, die ich ganz sicherlich noch nicht vollständig beherrsche, aber mit den Jahren, nach und nach, erlerne.
In meinem Leben habe ich viele Diskussionen geführt, sei es persönlich oder schriftlich im Internet, und oftmals war ich dabei sehr impulsiv, angriffslustig und teilweise unhöflich. Das Diskutieren habe ich von meinem Vater, die Impulsivität von meiner Mutter – eine schwierige Kombination und Herausforderung für mich. Mein bester Freund ist ein Godan der Diskussion und selbst wenn wir nicht in allen Dingen die gleiche Meinung haben, kann er seinen Standpunkt so gut argumentieren, dass ich selber anfange an meinen Überzeugungen zu zweifeln, was auch sehr gesund sein kann. Solche Freunde braucht man.
Dieses Zweifeln an seinen Überzeugungen ist eine sehr wichtige Komponente für die Fähigkeit gut Diskutieren zu können, denn sie schaltet das Ego für eine kurze Zeit ab und lässt einen das Thema objektiv betrachten. Leider können das nicht viele, gerade heutzutage, wo jeder eine Meinung hat. Aber
nur weil du das Recht auf die eigene Meinung hast, heißt es nicht, dass du mit deiner Meinung recht hast.
INHALTSVERZEICHNIS
Stumpfe Kritik vs. rationale Handlungsbewertung
Vor einigen Monaten war ich auf einem Karate-Lehrgang bei einem japanischen Lehrer. Anwesend war ein angeheuerter Übersetzer, der drei Jahre lang in Japan lebte, dort in einem JKA-Dojo trainierte und, wenn ich richtig verstanden habe, das sogar direkt bei Tatsuya Naka.
Nach dem Lehrgang gab es eine Grillparty und wir saßen am gleichen Tisch. Während ich mich mit einer anderen Teilnehmerin unterhielt und ihr erzählte, dass es in dem Kampfkünsten genauso viel Bullshit gebe wie in Religionen (ist nun mal eins meiner Lieblingsthemen), mischte sich der Übersetzer ein und fragte mich welchen Bullshit ich denn meine. Daraufhin nannte ich das erste, was mir in den Sinn kam (ohne gewusst zu haben auf wessen „Seite“ dieser Mensch ist und somit ganz unvoreingenommen), nämlich die Videoaufnahmen der JKA unter Nakayama, in den Oyo-Bunkai der Kata gegen mehrere Angreifer demonstriert werden. Hier ist ein Paradebeispiel von diesem Unsinn.
Ich meine es auch nicht böse, wenn ich diese Dinge kritisiere und ich habe nichts persönlich gegen Nakayama, Nishiyama, Tanaka und Co. Doch mit Gegenargumenten anzukommen, dass das tolle und nette Menschen waren (personenbezogenes Argument) tut nichts zur Sache, weil es nichts damit zu tun hat was sie getan hatten und welche Folgen ihre Taten hatten.
Im Fall mit den Bunkai-Videos verbreiteten sie Falschinformation. Manche Autoren vermuten, dass sie es sogar absichtlich machten, wie ich es schon in diesem Artikel am Beispiel von Zenpo Shimabukuro verdeutlichte. Dazu muss ich sagen, dass es sich um gefährliche Falschinformation handelt, denn eine Leichtsinnige und wenig erfahrene Person könnte sich daraufhin einbilden es mit mehreren Menschen gleichzeitig aufnehmen zu können, nur weil sie die Anwendung des Oyo-Bunkai, wie im Video erklärt, geübt hat. Derart leichtsinnige Personen gibt es zuhauf (wie die letzten Jahre es deutlich gezeigt haben) und ein Sieg wäre nicht nur unrealistisch, selbst die Flucht könnte sich als schwierig erweisen und müsste speziell geübt werden.
Was sind also die Folgen der Verbreitung solcher Falschinformationen?
- Im schlimmsten Fall ist es die Verletzung oder der Tod der leichtsinnigen Übenden, die daran glaubten.
- Im Normalfall verhindert es das Weitergeben von vernünftigen, realistischen und qualitativen Lehrinhalten.
- Im besten Fall wirft es ein Licht auf das Denken und die kulturellen Umstände in der damaligen und heutigen Zeit und dient als Negativbeispiel, was allerdings nur für Hobby-Historiker wie mich bzw. die Profis spannend sein dürfte.
Das alles erkläre ich, um klar zu stellen, dass es mir bei der Kritik/Evaluation nicht um die jeweilige Person geht. Ich bin kein Neider. Im Gegenteil: Ich bin mir sicher, dass die kritisierten Personen nette Menschen waren/sind. Ich weiß auch, dass die Zeit, Kultur und Gesellschaft gewisse Einschränkungen und Belastungen mit sich tragen und diese sollten bei der Bewertung stets mit einbezogen und die Personen mit Empathie behandelt werden. Ich weiß übrigens auch, aus eigener Erfahrung, dass wahre Experten auf ihrem Gebiet, geniale Historiker und Techniker, die ihre Arbeit makellos machen, menschlich schlimm sein können.
Wo ich stutzig werde ist, wenn Menschen sehr bewusst lügen, denn das ist für mich ein Akt des Bösen und ich sehe es als meine Pflicht an diese Lügen aufzudecken. Irren ist menschlich, lügen für die Durchsetzung eigener Interessen (z. B. Gewinn) und auf Kosten anderer ist falsch.
Die Reaktion
Man braucht kein Psychotherapeut oder Micromessaging-Experte zu sein, um zu erkennen, wenn jemand mit dir nicht einverstanden ist, vor allem, wenn diese Person nicht sehr gut darin ist ihre Emotionen zu kontrollieren. Der o. g. Übersetzer, der sich mit mir unterhielt, konnte das nicht. Sein sofortiger und größter Fehler war, dass er meine Argumentation als Angriff auf seine Vorgänger sah und es persönlich genommen hatte. Er fing sofort an sein „Expertenwissen“ zu zeigen, in dem er mir erklärte, dass „oyo“ ja nur Variation bedeute und es nicht eine Bunkai-Variante für eine Technik gebe. Mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken und beizusteuern, um irgendwie zu zeigen, dass er nicht mit einem Laien redet und streng gesehen hatte er ja auch recht, nur war er sehr oberflächlich.
Grundsätzlich ist es sehr schwierig, wenn man mit einer Person redet, die glaubt alles besser zu wissen und ich verstehe, dass man den Spieß hier auch umdrehen und mich als den Besserwisser darstellen könnte. In so einer Situation sind die Argumente und Fakten entscheidend. Dies ist schwierig, wenn eine der Seiten (in diesem Fall meine) versucht nüchtern zu erklären warum die Handlungen von bestimmten Personen nicht in Ordnung waren, während die andere Seite (in diesem Fall seine) versucht alles zu relativieren, nur um die „Ehre“ des (ideologischen) Lehrers seines Lehrers zu bewahren.
Auffällig war auch, dass er keineswegs darauf einging, dass die im Video gezeigten Anwendungsbeispiele völlig an den Haaren herbei gezogen und unsinnig sind. Sein Gegenargument war: Es sind nur Varianten, für den Anfang, zum Reinkommen (Kompromissargument).
Daraufhin fragte ich, warum man den Anfängern nicht gleich realistischere Anwendungen und Erklärungen bieten könnte… erhielt aber keine klare und direkte Antwort darauf.
Die Antwort ist jedoch sehr einfach: Weil viele Lehrer tatsächlich keine bessere Anwendungsbeispiele haben weil sie Kata nicht wirklich verstehen
oder diese Beispiele, aus welchem persönlichen Grund auch immer, geheim halten. Meistens stimmt aber das Erstere und ich vermute sogar, dass auch Nakayama und Nishiyama wirklich nicht wussten, was sie tun.*
Zeitzeugen nach trafen sich diese Personen tatsächlich einige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und nachdem die Kampfkünste von den Amis wieder erlaubt wurden, also nach vielen Jahren Pause, wieder zusammen, bastelten das, was sie von den Kata noch in Erinnerung hatten bruchstückhaft zusammen und bildeten die JKA (Quelle: IRKRS Journal von 2006, den genauen Artikel habe ich nicht in Erinnerung und kann gerade nicht nachschlagen – wird später ergänzt). Und genau das sagte ich auch dem Übersetzer, ebenso dass Nakayamas Lehrer es bestimmt besser wussten und dass viele Menschen heute es besser wissen. Nakayama und Co. haben sicherlich viel richtig gemacht, aber auch sehr viel falsch und auf ihren Fehlern wird bis heute noch viel falsches weiter erzählt.
Anstatt diese Tatsache zu akzeptieren, begann der Übersetzer mir zu erzählen, wie er als junger Mann selbständig Bruce Lees erstes Buch übersetzte und dass sein Jeet Kune Do nie dafür gedacht war exakt so weitergegeben zu werden usw. aber das ist trotzdem keine Erklärung für die o. g. Fehler der Lehrer, und genau darum ging es ja in dem Gespräch. Es handelte sich somit um ein Scheinargument, also ein Argument, das an sich korrekt ist, jedoch keinen direkten Beitrag zur Diskussion liefert oder gar in die Irre führt. Letztendlich wollte mein Diskussionspartner die Situation entschärfen (obwohl er der irritierte war während ich stets logisch blieb) und sowohl den Schein seiner Expertise behalten als auch zu einem weniger brisanten Thema wechseln. Dann war das Essen fertig und nach dem Essen war er sehr froh den anderen, begeisterten und teilweise naiven Zuhörern von seinem Leben zu berichten – und oh, hat er berichtet: über seine langjährige Physiotherapeutausbildung, wie er ein Institut geleitet hat, seine Zeit in Japan – er liebte es über sich zu reden…
Ich nehme es ihm nicht übel und lasse hier auch nicht meine Frust frei (OK, vielleicht ein bisschen ^^‘). Letztendlich bin ich dem Übersetzer aber dankbar für dieses Negativbeispiel und die Inspiration dazu diesen (und andere) Artikel zu schreiben. Schließlich brachte es mich erneut zum Nachdenken, vor allem was dieses eine Thema angeht: Warum schreibe ich so viel über die Fehler alter Lehrer? Wie gesagt, neidisch auf ihren Erfolg bin ich nicht. Mich irritiert viel mehr dieser blinde Gehorsam, den viele Kampfkünstler verspüren. Gepaart mit den Militärelementen aus dem Training** sehe ich da keine gute Tendenz und definitiv keine gute Voraussetzung für ein eigenständig denkendes, charakterlich entwickeltes Individuum. Man kann noch so oft Karate mit persönlicher und charakterlicher Entwicklung bewerben, aber in Wirklichkeit trainiert man nur kleine, gehorsame Marionetten, die nicht in der Lage sind die Führung kritisch zu hinterfragen, also kleine „Agenten“, wenn ich eine Allegorie aus dem Film Matrix nutzen darf…
Ich habe nichts gegen alte Meister, sofern sie im guten Wissen und Gewissen handelten und ihre Handlungen darf und sollte man korrekt bewerten.
De mortuis nil nisi bene
Es heißt ja, dass man über Tote entweder nichts oder nur gutes erzählen sollte. Wäre das tatsächlich so, dann dürfte man, wie der Autor dieses Artikels richtig bemerkt hat, gar keine Geschichtsschreibung mehr betreiben, denn wie würde es dann mit Hitler aussehen oder mit Bill Gates, Klaus Schwab und George Soros (die ja leider noch leben)?
Nein, so ist das offensichtlich nicht richtig und verschuldet ist es einer Fehlübersetzung der lateinischen Maxime „de mortuis nil nisi bene“. Korrekt übersetzt sollte es heißen:
Von den Toten nichts außer auf gute Weise.
Was bedeutet aber „auf gute Weise“? Ist das nicht sehr abhängig von den moralischen Werten einer Zeit und Gesellschaft? Von einer anderen Person habe ich die russische Übersetzung gehört: „Von den Toten nichts oder die Wahrheit“. Auch so könnte man „auf gute Weise“ deuten, denn die gute Weise, die Aufgabe eines Historikers ist es die Wahrheit zu berichten und nicht jede Person im guten Lichte darzustellen.
Ganz klar hat diese Fehlübersetzung und die damit eingehende falsche Vorstellung davon, wie man über verstorbene Karatemeister reden sollte, einen großen Einfluss auf die Kampfkünstler auch in der westlichen Welt. Natürlich muss man nicht zu jeder Person den kleinsten Dreck recherchieren und aufdecken. Niemand ist perfekt. Aber wenn eine Handlung faktisch falsch war und relativ verheerende Folgen hatte, dann sollte das schon aufgedeckt und zumindest angesprochen werden, nicht wahr?
Konfuzianismus
Einen noch stärkeren Einfluss auf die Hemmung die Meister zu kritisieren hatte die konfuzianische Regel, nach der man nichts negatives über seine oder irgendwelche Lehrer/Vorfahren sagen dürfte. Es ist die Definition des argumentum ad antiquitatem, also des Traditionsargumentes. Nach dieser Vorstellung waren alle vorherigen Meister und ihre Handlungen perfekt wie sie waren und so wurde auch über Jahrtausende gedacht und gehandelt. Das zog viele Probleme nach sich, nicht nur innerhalb der Kampfkünste, wichtig für uns ist hier jedoch die Tatsache, dass wir Europäer nicht exakt mit solch einem Denken erzogen wurden, zumindest nicht in dem gleichen Ausmaße.
Im Westen stehen wir auf den Schultern der Giganten, oder wir treten in ihre Fußstapfen, jedoch machen ihnen nicht alles exakt nach, sonst würde der Progress stoppen. Wenn wir aber solch ein Denken aus einer fremden Kultur importieren (inkl. spezifischer Elemente wie das Verbeugen, Altare mit Portraits der Lehrer etc. etc.), dann – und hier hypothetisiere ich lediglich – laufen wir Gefahr dogmatisch zu werden. Anstatt solche Gesellschaftsregeln mit einer gewissen Leichtigkeit und Flexibilität zu behandeln, wie die Vertreter östlicher Kulturen das tun, weil sie sich über die Jahrtausende daran gewöhnt und Wege entdeckt haben diese zu umgehen, werden diese Regeln bei uns beinahe in Stein gemeißelt und man ist gezwungen entweder voll dabei zu sein, oder etwas ganz anderes zu machen und diese Regeln allesamt zu vernachlässigen.
Ich spüre heute noch schiefe oder überraschte Blicke, wenn ich mich auf einem Lehrgang beim Betreten oder Verlassen der Halle nicht verbeuge. Mit Respektlosigkeit hat das nichts zu tun. Es ist einfach zu umständlich und hat nichts mit meiner Kultur zu tun. Auch gingen einige Augenbrauen hoch als ich bei dem o. g. Lehrgang die Kata Jion nicht mit „laufen“ wollte. Ich habe den Ablauf einfach vergessen, genauso wie ich den Ablauf der ca. 45 anderen Kata, die ich früher beherrschte, vergaß, weil sie für mich irrelevant geworden sind (dazu ein anderes Mal). Aber weil ich einen schwarzen Gürtel trage und weil ich an einem Quasi-JKA-Lehrgang teilnehme, müsste ich das ja angeblich können. Warum? Weil es in der Prüfungsordnung steht? Oh, spare me that shit.
Seid mal etwas lockerer Leute, sonst seid ihr nichts anderes als Sektenangehörige für die meine Handlungen einem Sakrileg gleichen.
Ich war früher selber so! Als jünger Buntgurt, mit brennendem Herz und Begeisterung für „den Weg des Karate“. Was ich damals nicht verstand war, dass es mehr als einen Weg gibt und es hat gedauert, bis ich die nötige Reife, zumindest in diesem Bereich, erlangte und meinen Horizont erweitern konnte.
Die Kunst der Unterscheidung
„Nehme auf, was sinnvoll ist, vernachlässige das sinnlose und füge etwas von dir selbst hinzu“
(Bruce Lee)
Wer mich etwas besser kennt, weiß, dass ich mich nicht nur für ostasiatische Kulturen interessiere, sondern u. a. auch für die nordische, südamerikanische und indische Kulturen. Auch bin ich ein bisschen spirituell veranlagt, darum sind mir solche Namen wie Neem Karoli Baba, Ram Dass und Osho (bzw. u. a. Rajneesh) nicht fremd. Letzteren möchte ich als Beispiel nehmen wie man jemanden folgen, respektieren oder einfach nur lesen und für gut befinden kann, ohne diese Person als perfekt anzusehen oder gar zu mögen.
Über Osho gibt es viele Videos auf YouTube und mindestens eine (gute) Doku auf Netflix (Wild Wild Country), die sein Leben, sein Werk und auch seinen Untergang im Detail erklären. Auch gibt es viele Bücher, die zwar nicht von ihm persönlich geschrieben wurden, aber auf dem basieren, was er von sich gegeben hat. Ich habe viele dieser Bücher in meinem Bücherregal stehen und einige davon haben mich sehr gut durch schwere Zeiten gebracht. Wenn ich jetzt in einem Gespräch jemandem das erzählen und diese Bücher empfehlen würde, diese Person mir jedoch entgegnet hätte, dass Osho ein Sektenanführer und kein guter Mensch war, dann würde ich mich weder persönlich angegriffen fühlen noch verzweifelt dagegen argumentieren. Ich würde sagen: „Ja, das stimmt. Ich sehe, dass du gut informiert bist. Oftmals kann aber auch durch einen ’schlechten‘ (kaputten, korrumpierten, egoistischen) Menschen eine höhere Macht wirken und großartiges schaffen, so wie z. B. bei Richard Wagner, Friedrich Nietzsche oder George Lucas. Ich halte ihre Werke trotzdem für sehr wertvoll.“
Übrigens war nicht nur Osho ein problematischer Fall, sondern auch Mohandas „Mahatma“ Gandhi und Agnes Bojaxhiu („Mutter Teresa“). Unter den Lebenden sind die heute größten Bullshitter wohl Jaggi Vasudev („Sadhguru“ oder noch zutreffender Shitguru) und Tenzin Gyatso (der 14. Dalai Lama, welcher mit der CIA kooperierte und versuchte die rechtmäßige Regierung Tibets zu stürzen, was ihnen nicht gelang und im Tod von zehntausenden von Zivilisten und mit seiner Flucht – dem „Exil“ – endete).
Es gibt regelrecht keine Heiligen, zumindest nicht unter den Leuten, die im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen, sich als „ach-so-toll“ und/oder als Experten ausgeben und keine Kritik zulassen. Man muss dieses Prinzip, das den Sprichwörtern „triffst du Buddha, töte ihn“ und „treffe nie dein Vorbild persönlich“ folgt, verinnerlichen und sich keine Idole erschaffen.
Wie diskutiert man richtig?
Es gibt nur wenige Regeln, die für viele dennoch sehr schwer einzuhalten sind. Ich zähle hier das auf, was mir spontan sofort einfällt:
- Lese, lese, lese…: Informiere dich und zwar nicht nur in der populären Literatur, sondern auch in den manchmal schwer erhältlichen und sogar trockenen historischen Werken. Ich habe tatsächlich selber einige Seltenheiten in meiner Bibliothek und diese habe ich mir als armer Student (kein Witz, ich musste teilweise Blut spenden um an das Geld zu kommen) geleistet, weil ich es als wichtig erachtete. Und selbst wenn du nicht diskutieren möchtest, wirst du durchs Lesen einfach gebildet und als Person interessant.
- Nehme nichts persönlich: Egal, ob ich etwas über deine Fähigkeiten sage oder deinen Meister kritisiere oder den Meister des Meisters deines Meisters – das hat nichts wirklich etwas mit dir zu tun und ist nur meine Wahrnehmung von der gegebenen Sache. Nur du weißt wer du bist und wenn du weißt, dass ich wirklich im Unrecht bin, dann bleibst du ruhig. Du regst dich nur auf, weil du tief im Unbewussten glaubt, dass ich Recht habe. Wenn du Selbstsicher bist, bzw. absolut sicher, dass deine Vorgänger makellos waren (wer ist das schon?) dann passiert das nicht. Und wenn du weißt, dass auch sie nicht perfekt waren, dann kannst du ganz ruhig sagen „ja, das war tatsächlich nicht in Ordnung, dem stimme ich zu. Ich mag es aber deren Lehre trotzdem zu folgen weil…“. Das ist der beste Fall bei einer Diskussion und er ist extrem selten. Der schlimmste Fall ist, wenn die Diskussionspartner persönlich werden, weil ihnen die Argumente fehlen. Das nennt man argumentum ad hominem und es ist die schlimmste Art zu argumentieren, die viele von uns leider nur zu gut aus dem Internet kennen. Sie sagt tatsächlich viel über die argumentierende Person aus. Und überhaupt: Bleib gechillt, gebe dir Mühe dabei, atme durch. Es passiert doch nichts schlimmes! Sind doch nur Worte.
- Vermeide die typischen logischen Fehlschlüsse: Eine sehr schöne Auflistung dieser findest du hier. Ich habe in diesem Artikel bereits einige davon benannt und beobachte sie immer und immer wieder in Kampfkunstkreisen, vor allem das „Argument der Tradition“. Mache das nicht. Pfui! Aus! ^_^
- Sei menschlich: Irren ist auch menschlich sowohl für dich als auch für deine Diskussionspartner. Bedenke, dass jede Person die Welt nur aus ihrer Perspektive sieht, sie so versteht, glaubt im Recht zu sein und es meistens nicht böse meint. Versuche die Sache aus der Perspektive deines Gegenübers zu sehen. Sei nicht gemein. Meistens ist eine Diskussion kein Wettkampf, sondern nur eine Unterhaltung. Halte sie so freundlich und respektvoll wie es nur geht. Sei bescheiden und gebe auch mal zu, dass du im Unrecht warst. Ich überrasche manchmal meine Diskussionspartner, wenn ich genau das mache, weil sie das überhaupt nicht gewohnt sind, aber ich meine es dann auch so.
Fazit
Ich bin es inzwischen leid zu diskutieren, weil die meisten Menschen, die wirklich scharf darauf sind, es oftmals einfach nicht können oder Trolle sind, die einen bewusst verwirren und ihren Spaß daran haben. Das sind z. B. Menschen, die etwas nicht mit Sicherheit wissen oder gar bewusst lügen und die Gabe besitzen mit großer Überzeugung zu vermitteln, dass sie genau wissen, wovon sie reden. Gegen sie kommt man nur an, wenn man deutlich sieht, wen man vor sich hat. Ich bin nicht sehr geschult darin zu diskutieren und stelle oft erst im Nachhinein fest, wie die Person, mit der ich eine Diskussion führte, wirklich drauf ist. Aus diesem Grund lasse ich es meistens lieber sein und vertrage das Thema auf meinen Blog oder mache ein Video darüber. Darum (und auch aufgrund der staatlichen Zensur) habe ich meine Profile bei Facebook und Twitter gelöscht. Es ist Zeitverschwendung. Und darum meine Bitte: Diskutiere nur dann, wenn du wirklich Ahnung vom Material hast und es menschlich, mitfühlend und professionell herüber bringen kannst. Halte die o. g. Regeln ein. Ansonsten lasse es sein, denn leeres Gelaber, Gebell, Mimimi, Halbwahrheiten und blinden Gehorsam haben wir derzeit mehr als genug.
Danke.
Ende von Teil 1.
* Selbst auf dem o. g. Lehrgang wurde dem Lehrer eine Frage zu einer Kata-Technik gestellt, die er so wischi-waschi beantwortete und für die ich eine fundiertere Erklärung hatte, doch da ich nur ein Teilnehmer war und alle anderen Teilnehmer den Lehrer mit ehrfürchtigem und verliebtem Blick (und ganz viel Ossossoss…) anschauten, entschloss ich mich dazu nichts zu sagen und die Frage dann in der Umkleidekabine zu beantworten.
** Zitat vom Übersetzer, der während des Zarei auch als Ansager fungierte: „Mokusoooooooo!!!“.
Ja, es war echt so lang gezogen, laut, fühlte sich einfach nur falsch an und erinnerte mich an einen Möchtegern-Feldwebel bzw. Stabsgefreiten, mit den ich in meinem Leben auch schon genug zu tun hatte.
Hallo Philipp
ein Artikel der einiges vom Leser abverlangt. Diskussion ist – wenn ich mir die politischen Sendungen im Staatsfernsehen betrachte – immer der Versuch andere Menschen zu beeinflussen.
Nehme ich mir die Gedanken von SunTsu – Über die Kunst des Krieges – da erfahre ich wichtigeres- als was ich früher über Kommunikation in Kursen geübt und gelernt habe.
Wer ist noch bereit die Gedanken eines anderen Menschen zu überdenken, zuzugeben wenn seine Ansichten stimmig sind oder einfach zu sagen, ja da könntest du recht haben?
Mit Karate, Taekwondo – Kata, Meistern, usw. – habe ich nichts mehr am Hut.
Warum sollte ein “ alter Meister mit dem 8. Dan “ die Weisheit gepachtet haben?
Mich begeistert heute Muay Thai. Trainer die mich unterrichten, Übungen die anwendbar sind,
Jeder gibt offen zu, ab einem bestimmten Lebensalter ist vieles nicht mehr möglich.
Um im Wettkampf erfolgreich zu sein, ist Wettkampftraining erforderlich!
Die Geschichten über die alten Meister, die allein viele Gegner besiegten – einfach nur Märchen.
Eine Diskussion darüber sinnfrei – denn mit diesen Geschichten werden viele Schüler/innen
im Verband gehalten und Gürtel und Urkunden verkauft – bringen natürlich viel Geld.
Hoffe sehr meine Gedanken waren verständlich.
Vielen Dank für deinen Kommentar, Gerhard! Dieser ist nicht nur verständlich, sondern auch gut geschrieben. Ich würde auch unter jeder deiner Aussagen unterschreiben. Zuerst wollte ich dir widersprechen, was den Versuch des Beeinflussens angeht, aber eigentlich stimmt auch das irgendwo. Zumindest werden Diskussionen so von vielen genutzt, aber man kann aus ihnen auch lernen, was jedoch Reife benötigt und wir leben leider nun mal in einer unreifen Gesellschaft.
Ich höre in letzter Zeit oftmals Podcasts mit Gesprächen über Politik und Gesellschaft zwischen unabhängigen Experten, die alle reife Menschen sind und manchmal gibt es auch da Unstimmigkeiten, es kommt zu einer kurzen Diskussion, aus der man auch als Zuhörer etwas lernen kann, wenn man die Argumente beider Seiten abwägt. Gut zu diskutieren ist wirklich eine Kunst, nur leider meinen hier die meisten Menschen große Künstler zu sein, während sie (übertragen auf die Malkunst) nicht mal ein Strichmännchen zeichnen können.
Zum Glück ändert sich auch der Trend in Dojos langsam. Es gibt immer mehr, die hinterfragen. So haben die letzten Jahre wenigstens etwas Positives mit sich gebracht.
Hier kommen so einige verschiedene Themen zusammen, eigentlich könnte man ein komplettes Buch darüber schreiben…
Bzgl. „traditionellem“ Karate ist es mittlerweile hinlänglich bekannt, dass wir da in der Regel von diesem nationalistisch, militaristisch beeinflussten japanisierten Trainingsablauf sprechen, wie er in Japan vor ca. 100 Jahren aufgrund des damalig vorherrschenden Zeitgeistes entstand. Leider ist dieses Wissen jedoch nicht allzu weit verbreitet, genauso wie die Sache mit dem angeblichen Waffenverbot auf Okinawa usw.
In meinem Dojo (Shotokan) bin ich momentan der einzige, der sich mit diesen Themen auseinandersetzt und auch über entsprechende Literatur verfügt. Es ist ein ganz kleines Dojo mit nicht ganz 15 Mitgliedern, alles nette Leute und interessiert am Karatetraining, aber die Hintergründe versuche ich immer wieder mal einzustreuen, was mir meist nicht wirklich gelingt. (Trotzdem trainiere ich gerne dort.)
Zum Thema Diskussion fällt mir ein, dass ich mal einen Spruch gelesen habe, der sinngemäß so lautet: „Dialog ist, wenn man beginnt zu glauben, dass der andere Recht haben könnte.“
Und hier sehe ich die Crux im Alltag: Meist vertreten Diskussionspartner* vehement ihren Standpunkt und gehen nicht auf die Argumente des anderen ein. Das hat oft was Dogmatisches an sich. Deswegen finde ich es erfrischend, wenn hier im Artikel davon gesprochen wird, dass eine Diskussion ja auch „nur“ ein Gespräch ist. Danke dafür! 🙂
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*) Beim Begriff „Diskussionspartner“ denke ich daran, dass es hier oftmals eher „Diskussionsgegner“ heißen müsste. Das passt sogar zum Thema, denn im Karatetraining wird ja heutzutage vom Trainings“partner“ oder von der „Partner“übung gesprochen. Früher war es der Gegner, und in den ältesten schriftlichen Aufzeichnungen aus Okinawa ist noch vom Feind die Rede. Da sieht man schon an den Begriffen, in welche Richtung sich Karate entwickelt hat.
Vielen Dank für deinen Kommentar, Thomas! Ich stimme dir in allen Punkten zu und ja, wir sind leider wenige und kaum jemand will hinhören, wenn man die Wahrheit erzählt. Gerade in der letzten drei Jahren habe ich das nur zu gut zu spüren bekommen, daher überrascht mich gar nichts mehr.
Umso mehr freut es mich, wenn ich auf Gleichgesinnte treffe, so wie hier im Karate Campus. Vielen Dank für Deine Arbeit!