Bewegung, bei der der ganze Körper zum Einsatz kommt ist eins der Prinzipien, auf die Kraftexperten wie Elliott Hulse schwören. Anders als beim Bodybuilding, wo die Form, das Aussehen, die Ästhetik im Vordergrund steht (ähnlich wie beim Kata-Wettkampf), setzt man beim Krafttraining auf Leistung und Funktion. Wenn man aber keine Lust auf Gewichtheben, oder große Muskeln und die damit verbundene Ernährungsumstellung hat, so kann man auch sehr vieles mit dem eigenen Körpergewicht anstellen. Klassische Übungen wie Liegestütze, Sit-ups und Klimmzüge sind schon längst bekannt, werden aber dennoch nur selten richtig (dem Trainingsziel entsprechend) ausgeführt und unterrichtet, weshalb man sie als eher monotone und isolierte Übungen kennt.
INHALTSVERZEICHNIS
Ganzheitliches Training und Abwechslung
Programme wie Tabata, Ginastica Natural, Animal Locomotion, Ido Portals Movement-Culture u.a. beschäftigen sich mit dem Kraft- und Beweglichkeitstraining des gesamten Körpers mit einem Minimum an Geräten. Die Liegestütze werden z.B. nicht mehr klassisch ausgeführt (hoch-runter-hoch-runter; kurze Bewegung), sondern variierend und mit anderen Bewegungen (links, rechts, vor, zurück, auf einem Arm…) fließend verbunden, sodass alle Muskeln, die in Verbindung zueinander stehen – also alle Muskeln – mit trainiert werden. Dabei wird die Muskulatur nicht nur trainiert, sondern auch im gesunden Maße gedehnt, außerdem arbeitet das Gehirn da mehr mit als bei den kurzen und einfachen Bewegungen. Verbindet man das Ganze mit Yoga, so ist man auf einer sehr sicheren Seite und kann sich so verletzungsfrei einen starken und beweglichen Körper bilden.
Im folgenden Video demonstriere ich einige einfache Liegestütz-Variationen, die mir spontan beim Videodreh eingefallen sind:
Aber selbst solche Programme sind separat für mich nicht spannend genug. Persönlich, brauche ich immer Abwechslung und so gestalte ich auch mein Training. Ich mache alles quer durcheinander, je nach Laune, Möglichkeit und Trainingsziel. So entstehen nebenbei ganz neue Kombinationen. Mein Mobilisierungstraining (ehem. „Aufwärmtraining“) besteht mal aus Yoga, mal aus Ryan DeBells Programm, aus spontaner Bewegung auf dem Boden (Floorwork/Floorplay), oder aus allem zusammen. Jedenfalls bin ich danach immer besser mobilisiert und bereit für das Kampftraining, als nach dem üblichen Hampelmann-Gedöns, das ich aus Vereinen und, leider auch, aus den Sportkursen im Sportstudium kenne. Letzteres liegt allerdings nicht daran, dass diese Übungen sinnvoll sind und sich bewährt haben, sondern weil das Vereinsdenken auch die Unis infiltriert hat und weil es zu umständlich wäre den Studenten auch noch etwas derart „unwichtiges“ wie ein korrektes Mobilisierungs- und Dehntraining zu erklären.
In diesem Artikel soll es aber nicht nur um Kraft- oder Beweglichkeitstraining gehen, dafür gibt es genug andere Blogs und das Thema ist langsam aber sicher, auch unter Kampfkünstlern, totgeschlagen (wobei ich trotzdem noch separat darüber schreiben werde). Worüber ich hier schreiben möchte, ist die Wichtigkeit eines achtsamen Trainings, bei dem der ganze Körper zum Einsatz kommt.
Akira Hino
Auch ohne spezielle Körpertrainings-Programme kann man sein Kampfkunsttraining so gestalten und seine Technik so verändern, dass nicht nur ein Körperteil, sondern alle Teile gleichzeitig und bewusst zum Einsatz kommen. Und bevor du das denkst: Nein, damit meine ich nicht ganzkörperliche und unnötige Anspannung (manche nennen es fälschlicherweise Kime).
Akira Hino ist ein Budoka, der lehrt wie man Kraft spart und dennoch mehr Leistung bringt, im Gegensatz zur gewohnten Ausführung einer Technik, oder Bewegung allgemein. Er unterrichtet nicht nur Kampfkünstler, sondern auch Tänzer und Sportler aus den verschiedensten Bereichen – mit Erfolg. Eins der Prinzipien bei ihm ist nicht die Gewinnung der Kraft aus nur einem Körperteil, sondern von 10% aus jedem Körperteil. Der ganze Körper arbeitet mit und das geht weit über das übliche „die Kraft kommt aus dem Bauch“ und „setze deine Hüfte ein“.
Zur Zeit versuche ich Hinos Lehre in mein Training zu integrieren. Natürlich nur so gut es geht, ohne seine Seminare zu besuchen, denn das kann ich mir einfach noch nicht leisten. Als Informationsquelle dient mir u.a. sein Buch.
Künftig werde ich noch mehr über dieses Training schreiben.
„Primal movement“
Zusätzlich zum Budo (u.a. Hino-Methode und DK Cham Jang Gong) und Yoga beschäftige ich mich neuerdings viel mit Tierbewegungen. Das tut mir gut, da es für mich sehr angenehm ist diese primitiven, animalischen Bewegungen zu machen. Ich möchte den Affen in mir nicht mehr zurück halten, sondern seine Stärken nutzen. Außerdem bin ich schon seit meiner Kindheit, um genauer zu sein, seit meine Eltern in meinem Zimmer ein Klettergerüst installiert hatten, ein Kletteraffe und verpasse keine Gelegenheit mich irgendwo fest zu halten, hoch zu ziehen, oder abzuhängen. 🙂
Neulich wurde auf Facebook zu einem meiner Videos aus dem Training ein Kommentar gepostet mit der Frage, ob diese Bewegungsformen meinen Körper nicht überfordern und ihm somit mehr Schaden anrichten als nutzen würden. Meine Antwort darauf lautet: Ich fühle weder Schmerz, noch Spannungen in den Gelenken (d.h. auch keinen versteckten Schmerz), oder sonstige Überforderung. Und ganz nach dem Motto
„wenn es nicht weh tut, ist es richtig“
trainiere ich weiter. Die meisten Übungen werden langsam ausgeführt, was die propriozeptorische Wahrnehmung und die Achtsamkeit verbessert. Dadurch fühle ich genau wie weit ich gehen darf, ohne mir Schaden zuzuführen.
Ich bin kein Zirkusathlet, verfüge über keine große Kraft und meine Beweglichkeit ist eher durchschnittlich, wenn man von der Dehnbarkeit der Muskeln ausgeht. Aber die Fähigkeit, meinen Körper willkürlich in (fast) jede mögliche Position zu bewegen und mich dabei wohl zu fühlen, wurde durch ein solches Training, sowie alles, was ich bisher gemacht hatte, entwickelt. Ich finde, dass es ein Muss für jeden Kampfkünstler ist, sich und seinen Körper zu kennen und ihn wirklich bewegen zu können. Findest du nicht auch, dass wir uns aus starren Gebilden, die auf Fotos aus alten Büchern basieren, befreien und mehr zu unserer wahren Natur finden sollten?
Was haben diese Tierbewegungen nun mit Kampfkunst zu tun?
Die Tierbewegungen sind etwas primitives, also altes und ursprüngliches. Sie beanspruchen den Körper auf eine Art und Weise, die man aus dem üblichen Breitensport nicht kennt. Wie schon geschrieben, werden nicht nur Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit trainiert, sondern auch die damit verbundenen neuronalen Verknüpfungen gebildet und verbessert. Man lernt den Körper zu spüren, zu kontrollieren und zu nutzen, so wie es mit keiner isolierten Übung möglich ist. Dass das jeder Art der Bewegungskunst und Sports zu Gute kommt, sollte außer Frage stehen.
Als Sportstudent habe ich mich auch mit der Kindeserziehung im Sportkontext auseinander gesetzt und gelernt, dass kleine Kinder nicht auf eine Bewegungsform spezialisiert werden dürfen, sondern alle möglichen Bewegungen ausprobieren sollten, so etwa bis zum 10. Lebensjahr, besser noch länger. Macht Sinn, oder? Das heißt, dass Kinder lernen sollten zu laufen, springen, schwimmen, klettern, raufen (catchen), mit einem Ball zu spielen, Fahrradfahren, tanzen, turnen, mit Stöcken zu schwingen und und und… alles, was man als Mensch so machen könnte, zumindest die Grundlagen davon. Ich hatte das Glück eine solche „Ausbildung“ ganz natürlich durchlaufen zu haben, wobei das mit dem Ball etwas zu kurz kam. Hingegen treffe ich heute Eltern, die meinen ihr Sohn sollte so früh wie möglich Fußball spielen und die Tochter zum Ballett gehen. Jep, die Einschränkung fängt schon sehr früh an und die Kinder dieser Eltern tun mir sehr leid.
Als Erwachsene haben wir die Wahl: Machen wir so weiter wie wir es bisher gelernt haben, oder holen wir das Verpasste nach? Das dauert zwar länger als im Kindesalter, ist aber prinzipiell möglich. Dafür sind die Tierbewegungen ziemlich gut geeignet. Natürlich sind auch sie auf ihre Weise eingeschränkt, bieten aber dennoch eine Menge an Bewegungserfahrung, ohne Partner und Trainingsgeräte.
Mit einem solchen Training wäre man in der Lage sein Körpergefühl zu verbessern, seine Gelenke individuell zu bewegen und Bewegung auf einer instinktiven Ebene zu verstehen. Dann würde so eine komplexe Lehre wie die von Akira Hino auch nicht allzu schwer fallen und man könnte sein Budo-Training auf ein ganz anderes, viel höheres Level befördern.
Wer seinen Körper spüren und kontrollieren kann, braucht keine festen Stände, keine in Stein gemeißelte Anweisungen zur Technikausführung. So ein Mensch ist flexibel und setzt seine über Jahre erlernten Fertigkeiten sinnvoll und effektiv um. In meinen Augen ist das ein Idealbild des Kampfkünstlers:
Jemand, der sich nicht durch Stil- und Institutionsregelungen einschränken lässt, sondern ihre Grenzen überschreitet, komplexe Elemente miteinander verbindet, selbständig forscht, intelligent trainiert, sowie das Erlernte weiter gibt und einsetzt, um anderen zu helfen.