Respekt ist ein Begriff, den man immer wieder in Verbindung mit Karate hört, besonders oft in Werbung, wenn Karateschulen versuchen die Eltern dazu zu überreden die Erziehung ihrer Kinder an sie abzugeben.
Aber was ist dieser Respekt überhaupt? Es scheint einer dieser Grundbegriffe zu sein, die angeblich keiner Erklärung bedürfen, so wie Liebe, doch auch davon gibt es viele unterschiedliche Interpretationen. Auch ich bin mit einer ganz bestimmten Vorstellung von Respekt aufgewachsen, musste aber vor kurzem, gezwungenermaßen, feststellen, dass ich alles falsch verstanden hatte. Und auch, dass fast alle es falsch verstehen.
Natürlich könnte man voreilig einwenden, dass das, was ich erfahren habe, ebenso falsch ist, aber warte einfach ab und ich erkläre es und dann kannst du dir nochmal überlegen, ob an meinen Worten doch etwas Wahres dran sein könnte oder nicht.
Respekt ist keine Währung
Bisher dachte ich immer, dass Respekt etwas ist, was jeder sich verdienen müsste. Seit etwa meinem 15. Lebensjahr betrieb ich über zehn verschiedene Sportarten, vom Skateboarden, über Breakdance bis hin zu Karate (detaillierte darüber hier). In allen Bereichen wollte ich ganz besonders eins: Angesehen und respektiert werden. Als Kind von zwei oft unzufriedenen Eltern, als Jugendlicher, der in der Schule gemobbt wurde und als jemand mit einer geringen Körpergröße, entwickelte ich über viele Jahre verschiedene Minderwertigkeitskomplexe und ein starkes verlangen nach Anerkennung. Respekt war für mich wie eine Währung, die ich immer wieder verdienen musste, da mein Respekt-Portemonnaie ein Riesenloch besaß und ich nicht wusste wie man es stopfen soll. Meine vielen Aktivitäten waren und sind zum Teil bis heute noch ein Versuch dies zu bewerkstelligen, obwohl ich heute schon mehr Einsicht in dieses Problem habe.
Was Menschen wie mir fehlt – und in unserer, vom Individualismus, Leistungsdruck und Konkurrenz geprägten, Gesellschaft, haben die meisten Menschen dieses Problem – ist Selbstrespekt. Wie man diesen erreicht, kann sehr unterschiedlich sein und dazu können Autoren wie z.B. Osho oder Don Miguel Ruiz viel mehr sagen als ich und es besser erklären. Wichtig ist zu wissen, dass je mehr man im Außen sucht, umso größer wird die Entfernung zum gewünschten Ziel. Weder Respekt, noch Liebe kann man im Außen finden. Kein Gürtel, keine Urkunde, kein Pokal, keine eigene Schule mit dir treu ergebenen Schülern, werden je dieses Loch in deinem Herzen stopfen können. Wenn es dir auch so geht, dann wirst du immer das Gefühl haben, als gäbe es da mehr und du wirst es haben wollen. Gerade diejenigen, die Respekt am lautesten einfordern (auch gegenüber anderen), haben es am nötigsten es sich selbst zu geben und nicht von anderen zu nehmen.
So ist das in dieser Welt. Und wir werden von Menschen erzogen, die ebenfalls an diesen Irrsinn glauben, von unseren Eltern, den Medien, den Freunden, der Gesellschaft allgemein. Deshalb ist unser Glaube daran so fest, dass wir viel Mühe und viele Fehltritte brauchen, um es umzulernen.
OK, so weit so gut, wir wissen nun, dass man Respekt nicht von außen bekommt, sondern sich selber entgegen bringen muss. Aber was ist Respekt denn nun? Und respektiere ich mich selber nicht automatisch mehr, wenn ich den 8. Dan erhalte, die Karriereleiter aufsteige oder die Weltmeisterschaft gewinne?
Nein. Man denkt zwar für eine kurze Zeit, dass es einem besser geht, aber schon bald kommt der Hunger wieder und man möchte noch eine Weltmeisterschaft gewinnen und noch mehr Geld und Macht besitzen usw. Das Einzige, was man durch solche vergeblichen Bemühungen schafft, ist eine Überidentifizierung mit dem Ego und das Ego wird oft von Angst und Hunger angeleitet, schließlich sind das die ersten traumatischen Erfahrungen, die man während der Geburt und kurz darauf erfährt (sog. Urtrauma) und wenn das Ego zu Wort kommt, greift es oft darauf zurück.
Viele Jahre auf der Jagd nach Respekt, Liebe und Anerkennung mit Erfolgen und Niederlagen haben mir dieses Ego-Spiel veranschaulicht und heute kann ich ganz gut erkennen, wann immer mein Ego sich angegriffen fühlt und ich nicht so handele wie ich es eigentlich lieber tun würde. Ich bin achtsam dafür, kann es aber trotzdem nicht immer komplett kontrollieren. Aber das ist schon mal ein Anfang. Nun erkenne ich auch, wann immer ich einen Erfolg feiere, wie mein Ego aktiv wird und mein Verhalten sich ändert. Und ich merke auch deutlich, wie leicht es sich gekränkt fühlt bei jeglicher Form von Kritik, und genau in diesen Momenten wird der Hunger nach Anerkennung umso größer. Also versuche ich in solchen Momenten zurück zu schalten, mich zu besinnen und mir selber die nötige Liebe und den Respekt zu geben, nach den ich mich sehne. Dafür gibt es u.a. spezielle meditative Übungen, die mir sehr helfen.
Okay, okay, aber was ist denn nun Respekt? Es ist nichts, was man sich verdienen muss, so viel steht schon mal fest. Wenn man es also schafft jemanden mit irgend etwas zu beeindrucken und „boaah, Respekt!“ hört, dann ist das kein Respekt. Vielleicht Bewunderung, vielleicht Neid, aber kein Respekt. Die meisten Menschen wissen das und verwechseln diese Dinge dennoch oft, weil es sich wenigstens ein bisschen gut anfühlt. Wie Süchtige (Drogen, Zucker, Unterhaltung, Sex…), die wissen, dass sie sich mit dem Übermaß schaden und es dennoch nicht lassen können.
RESPEKT ist die vollständige Anerkennung einer Person, so wie sie ist, mit all ihren guten und schlechten Seiten.
Oh? Du hast etwas anderes erwartet? Ich war auch überrascht, als es mir dämmerte. Es ist also nichts, was man sich verdienen sollte, denn man hat es ohnehin schon in sich! Wer dich nicht voll und ganz anerkennt, respektiert dich nicht und daran kannst du nichts ändern, denn sonst würdest du versuchen dich für diese andere Person zu verändern und das wärst dann nicht mehr du selbst. Insofern macht es auch absolut Sinn, dass du dich selbst komplett so annehmen musst, wie du bist, mit all deinen guten und schlechten Seiten. Und da laufen viele Menschen oft gegen eine Wand, da wir in dieser Gesellschaft von klein an dazu angetrieben werden alles „schlechte“ an uns zu verleugnen, oder zu bestrafen und so hassen, verachten und kritisieren wir uns selbst, während sich dadurch ein gewaltiges Bedürfnis, ein unersättlicher Hunger bildet, der aber in Wirklichkeit nur eine Illusion ist.
Was wir dann noch tun, ist die eigene Selbstkritik, die oft sogar zur TUGEND erhoben wird, auf andere zu projizieren und so scheinbar stets unzufrieden mit anderen (Politiker, Eltern, Lehrer, Lebenspartner, Arbeitskollege, Arbeitgeber…) zu sein, während wir tief im inneren unzufrieden mit uns selbst sind.
Den anderen zu respektieren heißt also, diesen Menschen auch mit seinen Fehlern zu akzeptieren und nicht etwa zu bewundern weil alle anderen das auch tun. Wenn ich z. B. Gichin Funakoshi als einen Menschen betrachte, der vieles in Gang gesetzt hatte und ohne den ich Karate vielleicht nie entdeckt hätte, der aber auch aufgrund seiner Erziehung und der kulturellen Einflüsse, in meinen Augen, ein schräger Typ war (er kämmte sich jeden Morgen stundenlang die Haare und weigerte sich das Wort Toilettenpapier zu sagen), so respektiere ich ihn, laut der o.g. Definition, vielleicht sogar mehr, als jemand, der ihn als Halbgott betrachtet und versucht all das für unsere Kultur Seltsame auszublenden. Hey, wir sind alle Menschen und alle Menschen müssen scheißen.
Viele meiner Freunde (und ich selbst sowieso) haben schräge Seiten. Trotzdem respektieren wir einander, weil wir dieses Schräge akzeptieren. Wir beurteilen es nicht, aber wir verleugnen es auch nicht.
Habe ich nun all das mit dem Respekt drauf? Wenn ich schon darüber schreibe, dann bin ich doch sicherlich schon ein Experte… oder? Zumindest wurde mir das neulich in einer Gruppendiskussion auf Facebook unterstellt.
Also, vorab: Dies ist nur ein Blog, eine Art Tagebuch für mich, in das ich andere hineinschauen lasse. Aber wenn du meinst, dass das, was ich schreibe, für dich Sinn ergibt, dann erfüllt der Blog seinen Zweck. Und oft zitiere ich andere, denn auch ich stehe nur auf den Schultern von Riesen und versuche dadurch besser in die Ferne zu blicken.
Was ich oben geschrieben habe, ist eine Zusammenfassung dessen, was ich in den letzten Jahren erfahren durfte, einerseits aus Büchern wie Selbstmitgefühl, The Mastery of Love, Freude usw. (hier findest du eine Bücherliste), andererseits durch meine Erkenntnisse über mich selbst und andere Menschen, mit den ich bisher zu tun hatte. Mein Weg hat erst angefangen und ich bin mir nicht so ganz sicher, was mich noch erwarten wird und ob ich „das Ziel“ jemals erreichen werde (schließlich gibt es kein Ziel und alles was ich wirklich brauche, trage ich bereits in mir), aber ich dachte mir, dass ich das jetzt schon mal mit dir teile. Vielleicht inspiriert es dich dazu, dich selbst mehr mit dem Thema auseinander zu setzen. Viele von uns wurden dazu erzogen nicht zu hinterfragen, aber gerade die Dinge, die scheinbar offensichtlich sind, sollten nochmal genauer betrachtet werden. Insofern können wir viel von Kindern lernen, die immer wieder Fragen stellen.
Servus Philipp,
toller Artikel 😀
Respekt aus der Sicht des sich selbst respektierens zu betrachten, kam mir noch gar nicht in den Sinn. Aber natürlich macht es Sinn. Wir kann ich andere respektieren, wenn ich mich selbst nicht annehme. Immerhin würde ich mich dann immer nur im Vergleich mit anderen sehen und so in einem immerwährenden Wettbewerb stehen. Hier wird Leistung anerkannt aber der Mensch wird völlig aus den Augen verloren.
2015 habe ich mich auch einmal an einen Artikel über Respekt gewagt. Zwar ist der Artikel meiner Auffassung nach schon etwas überholt aber ich will meine gedanklichen Wurzeln nicht verstecken. Ich habe die Verbindung von Respekt und Verbeugung betont und versucht sie mit inneren und äußeren Inhalten zu füllen. Vielleicht ist für dich auch noch etwas dabei 😀
http://dermodernebudoka.de/2015/10/16/budo-ausdruck-von-respekt-rei/
LG, Basty von http://www.dermodernebudoka.de
Hi Basty,
danke für deinen Kommentar! Habe deinen Artikel durchgelesen und finde ihn gut geschrieben. Deine Beschreibung von Respekt liegt meiner sehr nahe, denn du sprichst nicht vom Respekt „verdienen“. Es ist dieser Gedanke ans Verdienen, der für viele Probleme sorgt. Auch dass du das mit dem Militarismus erwähnst, finde ich super. Darüber wollte ich demnächst auch mal schreiben. Ich verbeuge mich z.B. gar nicht mehr, da dieses Ritual mit meiner inneren Haltung gegenüber Respekt nicht einhergeht.
Man muss verstehen, dass der Begriff „Rei“ aus einer Kultur kommt, wo Individualismus nicht so stark betont wurde, wie bei uns, deshalb ist er nicht 1 zu 1 übertragbar. Es wäre sonst so, als würde man versuchen einen eckigen Pfeiler in ein Rundes Loch zu stopfen, und das kann man an vielen Orten beobachten.
Auch bin ich mit Funakoshi nicht einverstanden, denn ich denke, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier im Bewusstsein liegt. Tiere gehen von Natur aus respektvoller miteinander um, als Menschen, die die wohl respektlosesten Tiere sind. Damit ist man aber wieder bei der Semantik und um Missverständnisse (zumindest in meinem Kopf) zu vermeiden, bevorzuge ich fortan nur noch die Definition von Respekt, die ich in meinem Artikel beschrieben habe. Für alles andere verwende ich andere Begriffe, wie „Bewunderung“, „Ehrfurcht“ usw. um sie klar voneinander zu trennen.