Drei Jahre für eine Kata? (Kata Hitotsu, Sannen)

Es heißt ja, dass man für eine Kata drei Jahre braucht („kata hitotsu, sannen“) und dieser Leitsatz wird nun seit Jahrzehnten missverstanden, neuinterpretiert, umformuliert, nachgeplappert etc.

Einige Leute meinen, dass man alleine den Ablauf einer Kata drei Jahre immer wieder wiederholen sollte, bevor der Ablauf der nächsten geübt werden darf. Zu diesen Leuten zählen hauptsächlich Anhänger großer Karateverbände, die ihre Inhalte an die Prüfungsordnungen und Wettkampfanforderungen anpassen. Ich würde mich zum x-ten Mal wiederholen, wenn ich sage, dass es aus der Sicht der Selbstverteidigung keinen Sinn macht nur den Ablauf einer Kata zu wiederholen.

Aus der Sicht der Bewegungslehre kann es allerdings nicht verkehrt sein alleine den Ablauf zu üben, also die Solo-Version einer Kata, wenn man dies bewusst, achtsam und mit dem Verständnis der Bewegungsprinzipien macht. Einfach nur „Kata laufen“ ist jedoch Quatsch.

Dann gibt es die Bunkai-Anhänger, die behaupten, dass man die Anwendungen einer Kata drei Jahre üben sollte, bevor man mit der Analyse* und Umsetzung der nächsten Kata beginnt. Ich finde diese Herangehensweise jedoch einschränkend, da man einige Elemente aus einer Kata erst versteht, wenn man die selben oder ähnliche Elemente kontrastierend in anderen Kata studiert hat, somit viele mögliche Anwendungen (Oyo) für eine Bewegung findet und letztendlich die Prinzipien der Technik/Bewegung versteht. Am besten ist es wohl, mehrere Kata gleichzeitig aber intensiv zu studieren, ohne sich von veralteten Leitsätzen bremsen zu lassen.

Die Annahme, dass das Studium einer Kata irgendetwas mit drei Jahren zu tun haben sollte, entstand wohl u.a. wegen Büchern wie Karate Do Kyohan von Gichin Funakoshi. In diesem Buch schreibt er:

„Weil es früher drei Jahre dauerte nur eine Kata zu erlernen, kannten selbst die Leute, die als fortgeschrittene Meister bezeichnet wurden, nur drei, oder höchstens fünf Kata. Das war normal. Das heißt, dass wenn du viele Kata kennst, sie nutzlos sind, wenn du sie nur zur Hälfte verstehst. Es wäre besser für dich nur eine eingeschränkte Anzahl an Kata zu kennen, diese jedoch bis in ihre Tiefe zu verstehen. […] Der Autor empfiehlt und lehrt, dass sobald […] du dein gesetztes Ziel erreicht hast, du wieder zum Anfang zurück kehren und wiederholend üben solltest. Eine Kata im Karate einfach nur zu „kennen“ bringt dir überhaupt nichts. Die Kata, die du gelernt hast, sollten wiederholt erlernt werden, wieder und wieder, sodass du in der Lage bist sie anzuwenden, wenn es nötig ist.“ (Funakoshi 2000: 36f.) (übers. v. P.S.)

Dieses Zitat fasst das, was ich oben geschrieben habe, ganz gut zusammen, unterliegt aber auch, wie so vieles, der eigenen Interpretation. Man liest manchmal auch als forschungsorientierter Mensch (als den ich mich gerne betrachten würde) nur das heraus, was man lesen möchte und wird leicht Opfer des Hallraum-Effektes, vor dem ich hier gerne warnen möchte.

Kann es sein, dass die meisten Karateka den Spruch „kata hitotsu, sannen“ zu wörtlich nehmen? In einem Anime (Usagi Drop, Episode 6, 05:50 min) kam der Spruch „Pfirsiche und Maronen brauchen drei Jahre, um Früchte zu tragen“ vor, gemeint war jedoch, dass man „mit einer Handlung oft viel Zeit benötigt, um Erfolge zu erzielen“.

Hat man mit „kata hitotsu, sannen“ nicht einfach gemeint, dass man eine Kata „lange“ studieren sollte?

Das wäre dann genauso wie mit „verlässt du dein Haus, triffst du auf zehn Feinde“, womit mit zehn auch nur viele gemeint war.

Macht ja auch Sinn, denn warum sollte man sich überhaupt zeitlich irgendwie einschränken? Wie oben bereits gesagt, wäre es ganz gut eine geringe Anzahl an Kata parallel und abwechselnd zu studieren. Einerseits deckt sich das mit dem obigen Zitat aus Funakoshis Buch (zurückkehren und wiederholen), andererseits widerspricht es seiner Anweisung, dass man zuerst eine Kata lernt, dann erst die nächste. Man sollte jedoch bedenken, dass vieles, was er schrieb und unterrichtete auf Itosus „Schul-Karate“ basierte und sich an Universitätsstudenten richtete. Im Rahmen eines schulischen Unterrichtes, wie er auch an Universitäten angewandt wird, ist es schwer komplexe Dinge parallel und zurück kehrend zu lernen, deshalb wird der Fortschritt im Unterricht linear angeordnet und von numerischen Anweisungen unterstützt.

Die Idee hinter Funakoshis Art Kata zu unterrichten war vielleicht folgende: „Ich werde den das so an den Unis zeigen, damit sie in der kurzen Zeit so viel wie möglich lernen und wenn sie die Uni abgeschlossen haben, können sie selber weiter lernen, ihre Lehre freier gestalten, zum Anfang zurückkehren usw.“
Das setzt jedoch voraus, dass der Schüler/Student gelernt hat zu lernen und nicht nur zu folgen. Hmmm… damit gab es wohl schon immer ein Problem, vor allem in streng konservativen Gesellschaften, denn wir wissen ja heute, was von seinen Schülern aus seinen Aussagen teilweise gemacht wurde.

Ich meine, das ist doch klar, oder? Das sind Basics, die ich hier beschreibe, gesunder Menschenverstand. Ich würde es jedoch nicht schreiben, wenn es nicht so viele Menschen gäbe, die sich immer noch an Zahlen festhalten und ihr Training danach ausrichten würden. Man braucht sich ja nur in Foren, oder in den vielen Facebook-Gruppen umzuschauen, um zu erkennen wie viele Leute von einfachen und numerischen Anweisungen abhängig sind. Warum? Weil es leicht ist, weil man das so von der Schule her kennt, weil man selber nicht nachzudenken braucht. So hatte ich Karate früher auch trainiert, als ich Orangegurt war und keine kompetenten Lehrer kannte. Eine der Essenzen des Budo ist für mich jedoch das Lernen selbständig zu lernen. Dazu gehört kritisches Denken, Mut, Vertrauen in sich selbst und Geduld. Das möchte ich mit meinen Posts anregen.



*Bunkai heißt in Wirklichkeit Analyse/Studium, nicht technische Anwendung.

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4 Kommentare, sei der nächste!

  1. Hallo Philipp

    was soll ich lange darum herumreden, wie immer ein gut verständlicher Aufsatz, der auffordert nachzudenken.
    Du hast es auf den Punkt gebracht.

    Nicht darüber reden, soll es jetzt Kata oder Katas heißen,
    sondern üben, langsam bewußt mit Atmung.

    1. Hallo Gerhard,
      wie immer, vielen Dank für den netten Kommentar! Ich gehe nicht davon aus, dass meine Artikel für jeden gut und nützlich sind, aber ich freue mich immer sehr, wenn jemand sie als solche empfindet. 🙂

      Beste Grüße,
      Philipp

  2. Es ist sehr interessamt deinen Gedanken zu folgen!

    Gibt es noch Kata aus dem Shotokan-„Reportoire“, die du persänlich trainierst? Falls ja, welche und warum?

    1. Hallo David und vielen Dank für deinen Kommentar!
      Persönlich trainiere ich aus dem Shotokan, wenn überhaupt, dann nur gelegentlich die Empi, weil das eine meiner ersten „höheren“ Kata war. Ich kenne sicherlich noch die Abläufe einiger anderer Kata, mache mit den aber nichts mehr und fokussiere mich auf einen bunten Mix aus den verschiedensten Stilen: Drei meiner Kata sind aus dem Koryu Uchinadi (Nepai, Aragaki Sochin und Aragaki Niseishi), dann ist da noch die Chatan Yara Kushanku, Naihanchi Shodan und Nidan sowie die Sanchin aus dem Okinawa Goju-ryu.

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