Sollte man wirklich jeden Tag trainieren? Eine Auseinandersetzung mit unseriösen Behauptungen.

Neulich postete ein Blog-Kollege in einer Diskussionsgruppe auf Facebook eine Grafik mit der Überschrift „Solltest du gleich jetzt trainieren?“.

Ich werde diese Grafik hier nicht posten, weil ich einerseits nicht die Rechte dafür besitze und andererseits der Name des Blogs drauf steht. Es ist nicht meine Art Leute/Blogs persönlich anzugreifen, zumal es nicht zu der Diskussion hier beiträgt. Viel lieber schreibe ich über die Idee, die diese Leute vertreten, um zumindest hier das, auf Facebook so populäre, Abrutschen ins persönliche (argumentum ad hominem) zu vermeiden. Diese Person liest meinen Blog, das weiß ich, weil sie ein Element, welches eine Originalidee von mir war, für ihren Blog angeeignet hatte, teilweise mit einer nahezu wortgetreuen Übernahme einer Textstelle… aber ich schweife ab. 😛

Nun, worum ging es bei der Grafik genau? Es wurde ein Baumdiagramm dargestellt (um genauer zu sein, ein Entscheidungsbaum) mit verschiedenen Optionen, nachfolgenden Fragen und Antwortmöglichkeiten. In diesem Fall sowas wie: „Bist du Schüler?“, „Ist jemand besser als du?“, „Du trainierst gerade jetzt“ (was gar nicht möglich ist, weil man ja am PC/Smartphone sein müsste, um die Grafik zu lesen). Dabei ist es egal, wie man antwortet, denn alles führt schließlich dazu, dass man genötigt wird entweder jetzt sofort zu trainieren oder das aktuelle Training fortzusetzen.

Ich möchte nun nicht so sein wie der Charakter Drax aus dem Marvel-Film Guardians of the Galaxy, der u.a. dafür bekannt ist manche Dinge zu wörtlich zu nehmen. Mir ist klar, dass solch eine Grafik und die folgenden Optionen ein Scherz sein sollten. Aber wie viel Scherz steckt wirklich drin? Sicherlich bist auch du auf genug Menschen gestoßen, die allen Ernstes behaupten, man müsste seine Kampfkunst jeden Tag trainieren.

Osho würde bei all dem unbewussten, Sucht-ähnlichen Drang zur Aktivität nur mit dem Kopf schütteln.

Und auch der Blogbetreiber selbst äußerte sich, nachdem die Aussagen in diesem Bild kritisch hinterfragt wurden, zuerst mit „[…] Tja,hast halt 0 Humor…“ und dann mit

„‚Besser sein als ich‘ genau darum geht es doch.
Frei nach dem Motto ‚Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.‘ oder ’nich so viel reden,lieber trainieren‘. oder ‚es gibt keinen Grund / Ausrede warum man nicht trainieren könnte…

(ich verzichte hier auf die Kennzeichnung der Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, wie es in wissenschaftlichen Arbeiten bei direkten Zitaten verlangt wird, da das Zitat sonst voll mit [sic!] wäre. Aber jetzt stelle ich den Grammar Nazi in mir wieder ab. 😉 )

Das mit dem „Null Humor“ ist klar. So kommen Menschen oft an, wenn sie etwas nicht ganz Ernst meinten, mit Kritik nicht umgehen können, sich aber auch nicht verantwortlich dafür fühlen, wenn durch ihren Scherz doch eine seriöse Diskussion angeregt wird.

Mit der zweiten Aussage hat er sich dann verraten, denn scheinbar steht er wirklich hinter dieser irrsinnigen Idee. Da konnte ich nicht untätig bleiben und musste gleich mit einer Gegenwerbung für meinen Blog ( 😛 ) ankommen:

„Es gibt keinen Grund/Ausrede warum man nicht trainieren könnte..“ ist eine der größten Bullshit-Aussagen, die ich jemals in Bezug auf Training gehört habe. Es gibt sehr wohl Gründe, z.B. Verletzung oder ein geschwächtes Immunsystem. Außerdem könnte man festgestellt haben, dass das bestehende Training mit ihren Inhalten aus langfristiger Sicht der Gesundheit schadet. Dann müsste man eine Pause einlegen, sich informieren, nach neuen Möglichkeiten suchen und erst dann weiter trainieren.

Dazu habe ich hier etwas unter Punkt zwei geschrieben.

Die zweitgrößte Bullshit-Aussage ist „nicht so viel reden, lieber trainieren.“
Im Prinzip ist das vollkommen richtig, vor allem wenn es um die Verschwendung wertvoller Trainingszeit geht. Nur wird diese Aussage meistens dann angewendet, wenn einem die intellektuellen Argumente ausgehen. Mein alter Trainer sagte dazu auch etwas, was ich hier unter Punkt 6 beschrieb.

Und warum überhaupt dieser Dualismus, dieses entweder/oder? Als könnte man nicht reden UND trainieren. Sieh dir dazu den Strongman Elliott Hulse an, der trainiert und in den Pausen zwischen den Sätzen philosophiert.

 

Auch ein anderer Nutzer brachte gute Argumente, die ich hier zitieren möchte:

Solche Weisheiten wie ‚Es gibt nur eine Ausrede nicht zu trainieren, und das ist der Tod‘, sind unmöglich. Was wollt ihr eigentlich damit aussagen? Dass ihr in das Privatleben eurer Schüler eingreift in dem ihr sie zum Training zwingen wollt? Wer überzeugen kann, der braucht solche Sprüche nicht; da kommen die Schüler, wenn es möglich ist, auch von alleine. Jeder hat neben dem Karate auch ein Privatleben, andere Verpflichtungen, Recht auf Ruhe und Entspannung am Feierabend, ein Recht Zeit für Familie und private Dinge zu erledigen, ein Recht sich um Kinder und vielleicht pflegebedürftige Eltern und Verwandte zu kümmern, und vieles mehr. Ihr müsst ihnen das Gefühl geben, dass Karate ihnen hierfür im Leben hilft. Wenn sie davon überzeugt sind, dann kommen die Schüler von alleine. Solche Sprüche schrecken die MÜNDIGEN Schüler eher ab.

Man braucht ja nur ganz schnell in einer Suchmaschine nach Trainingspausen zu suchen und stößt schnell auf Artikel, in den beschrieben wird, dass eine solche Sturkopf-Einstellung nur zu Schäden führt.

Ein Freund erzähle mir, dass er aus gesundheitlichen Gründen ca. einen Monat Auszeit von seinem BJJ-Training nehmen musste und als er wieder damit anfing, merkte er, dass er technisch besser geworden ist. Natürlich hat er, so wie ich ihn kenne, sicherlich während seiner Auszeit viele Lern- und Trainingsvideos geschaut und dadurch passiv gelernt.

Aber im Großen und ganzen ist so eine Aussage typisch für Holzköpfe, die in halbwegs intellektuellen Diskussionen nicht mithalten können und/oder ein Problem damit haben einzusehen, dass sie sich mit etwas nicht wirklich ernsthaft beschäftigten, weil sie sich ausschließlich nur auf das physische Training konzentrierten.

Als Beispiel dafür, das man nicht einfach nur stumpf trainieren, sondern auch nachdenken sollte, dient dieses Foto von Menschen, die eine häufig gesehene, aber dennoch ineffektive Übung machen:

Wer beweglicher werden möchte und bei dieser Übung stur bleibt, den Schmerz ignoriert und mit falscher Haltung weiter, weiter und nochmal weiter dehnt, fügt sich Schaden zu und verfehlt sein Trainingsziel.

 

Humor: Wie macht man es richtig?

Ich plädiere hiermit also dafür, dass, wenn man schon als Nichtkomiker einen Witz macht, dieser auch als Witz gekennzeichnet, oder zumindest in der nachfolgenden Diskussion nicht mit Argumenten gestützt wird, die an der humorvollen Einstellung des Autors zweifeln lassen.

Ich bin ja der Meinung, dass man in der Lage sein sollte sich über alles lustig zu machen. Die Option sollte immer da sein. Wenn jemand beleidigt ist, dann ist es die Verantwortung dieser Person. Es ist ihre eigene Herausforderung bei der inneren Suche nach den wahren Gründen für ihre Reaktion. Wir leben in einer (Schreckenherrschafts-)Zeit der Political Correctness, in der man scheinbar gar nichts mehr sagen darf. Doch diese erzwungene „Correctness“ fügt mehr Schaden an, als dass sie den Minderheiten wirklich hilft. Indem man dem Menschen die Herausforderung nimmt sich mit unfreundlichen Menschen und/oder Aussagen auseinander zu setzen, nimmt man ihm die Möglichkeit daran zu wachsen. So wird dieser immer ein Problem mit „Triggerwörtern“ haben.

Zum Beispiel war ich früher ganz schnell beleidigt, wenn jemand etwas negatives über Russen oder Juden sagte, weil ich mich mit diesen Begriffen überidentifizierte. Jetzt, wo ich gelernt habe das nicht mehr so persönlich zu nehmen, sehe ich nur noch Leute, die aus ihrer Unwissenheit dummes Zeug reden. Und wenn ein Standup-Comedian wie Joe Rogan einen Witz über Veganer macht und jemand fühlt sich dadurch beleidigt, dann empfehle ich dieser Person das Buch „Die vier Versprechen“ von Don Miguel Ruiz zu lesen. Vielleicht lernt auch sie dann mal sich selbst und ihre Überzeugungen nicht zu Ernst zu nehmen. Das ist Wachstum und da kann (auch böser) Humor wirklich sehr helfen.

Aber: Wenn die humorvolle Absicht, in einer mehr oder weniger seriösen Diskussionsgruppe, unklar ist, dann sollte man zumindest in der Lage sein diese klar zu stellen. Tut man das nicht, indem man beispielsweise so etwas sagt wie „hey, ich habe es nicht Ernst gemeint“ oder „ich stehe nicht wirklich zu diesen Aussagen“, dann kann man sich auf einen Rant von mir einstellen. 😉

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Ein Kommentar, sei der nächste!

  1. Du hast es auf den Punkt gebracht.

    Leider ist es wirklich eine Tatsache, daß selbst Trainer mit einem C-Schein , noch immer denken wie es früher im Training war – das ist und war richtig.

    Im kkf habe ich mir erlaubt, darauf hinzuweisen, es macht wenig Sinn,
    einen Schüler/in im Training den Vorwärtstritt 100 mal aufsführen zu lassen – ohne Pause.

    Sinnvoller ist es Wiederholungen mit 10 – 20 Bewegungen auszuführen.
    Eine Pause dazwischen ist sinnvoll , dann weiter aber korrekt. Es sollen sich keine Fehler einschleichen. Dann können es 5 Sätze mit je 20 Wiederholen als Ziel finden.

    Was ich im Taekwondo oder im Karate- Shotokan vor vielen Jahren erfahren habe,
    da hatte ich leider öfters Trainer die keine gute Ausbildung hatten.

    Vor einiger Zeit habe ich mir von Dr. Christine Theiss : Ich mache dich fit! gekauft.
    Da bekomme ich wirklich viele gute Ratschläge, wie ich die notwendige Basis schaffe.
    Selbst einiges aus dem Mentalen Training finde ich.
    PS: Dr. Christine Theiss – war im Kickboxen sehr erfolgreich.

    Goldene Regeln für das Training: da finde viele guten Ratschläge.
    Schade wenn ich daran denke, wieviel Stunden ich Schulsport Betriebssport und
    viele Trainingsstunden in den Kampfsport-Arten, ich hatte.
    Da hätte mir vieles bekannt vorkommen müssen.

    Aber wie immer, es ist schwer einen guten Trainer zu finden.
    Einen “ Meister der Kampfkünste “ wie ihn Werner Lind in seinem Buch:
    Budo der geistige Weg der Kampfkünste, vorstellt da habe ich noch mehr Zweifel.

    Danke für Deinen Artikel.

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